Barmer Köpfe

Janssen, Heinrich

 

Aus Heinrich Janssen wurde Henry Janssen

Foto: Sammlung BVV

Drei miteinander eng verbundene Textilbetriebe in Wyomissing bei Reading im nordamerikanischen Staate Pennsylvania, die Textile Machine Works (Textilmaschinenfabrik), die Narrow Fabric Company (Gesellschaft für Schmalband) und die Berkshire Knitting Mills (Berkshire Strickereiwerk) gaben 1936 eine gedruckte Geschichte der Industrien von Wyomissing heraus, ein Buch, das den schlichten Titel „Partners“ trägt.

Das Wort wird man mit „Teilhaber“ übersetzen, aber es enthält mehr; das Buch stellt die Geschichte zweier Geschäftsfreunde dar, die einmütig 58 Jahre lang ihren Weg als Fabrikanten gingen, von kleinen Anfängen zu stolzer Höhe: Ferdinand Thun und Henry Janssen. Beide sind 1866 in Barmen geboren: Thun am 14. Februar, Janssen am 8. Februar (vor 155 Jahren!). Janssen starb am 28. Januar 1948.

Familie Janssen

Heinrich Janssens Elternhaus stand an der unteren Westkotter Straße. Sein Vater, Albert Janssen, als junger Mann vom Niederrhein nach Barmen zugewandert, war Buchdrucker und führte neben seinem Betrieb noch einen kleinen Buchhandel. Mit seiner Frau, Helene, geborene Brenner, hatte er sechs Kinder. Mit 15 Jahren ging Heinrich in die Maschinenschlosserlehre, wo er zunächst landwirtschaftliche Maschinen umgehen lernte und in harter Schule zur Qualitätsarbeit erzogen wurde. Auf seine Geschicklichkeit vertrauend, machte er sich mit 22 Jahren auf die Reise in die USA. Sein einziger Besitz war in einem gediegenen handgefertigten Holzkoffer verpackt, den er auf der Schulter trug, als er in New York an Land ging. Einen Tag nach seiner Ankunft fand er bei einer Wirkwarenfabrik, der Castle Braid Company in Brooklyn, eine Stelle als Maschinist und wurde binnen Jahresfrist Leiter des Maschinenparks.

Freundschaft

Als sich die jungen 25jährigen Männer Thun und Janssen kennenlernten, entdeckten sie an sich einiges Gemeinsame: gleiches Alter, gleicher Heimatort, ähnlicher Jugendgang, gleiche gutbürgerliche Erziehung, gleichlaufende Interessen auf dem Gebiet der Textilmaschinen. Aus der Interessengemeinschaft erwuchs eine ehrliche, herzliche Freundschaft und eine berufliche Zusammenarbeit, die erst der Tod nach 57 Jahren löste.

Textiltradition nach Amerika exportiert

Einiger Monate bedurfte es, bis die Freunde sich über den einzuschlagenden Weg klar waren, auf dem sie ihr Glück zu machen hofften. Dann eröffneten sie in Reading im Staate Pennsylvania, Cedar Street 222, in einem gemieteten Gebäude eine kleine Werkstatt zur Herstellung von Flechtmaschinen. Der Zeitpunkt, an dem sie anfingen, war günstig, denn 1890 hatte die amerikanische Bundesregierung auf ausländische Maschinen einen Schutzzoll gelegt. Textile Machine Works, Thun & Janssen, so lautete die Firma. Das Fabrikationsgeschäft der unbekannten Hersteller begann zögernd; Reparaturaufträge mußten helfen. Aber beide vertrauten auf ihre jugendliche Arbeitskraft. Zu den Arbeitern ihres Betriebs hatte die Chefs sogleich ein herzliches, kameradschaftliches Verhältnis. Schon damals begann ihr Ruf als soziale Unternehmer, von denen gesagt werden konnte, daß ihre Stellung zur Belegschaft „beneidenswert friedlich und auf gegenseitiges Vertrauen gegründet war. Nach sechs Monaten kam der erste Auftrag für eine Flechtmaschine, noch nicht gleich überwältigend, was den Gewinn betrag, aber ermutigend. Es waren technisch und wirtschaftlich bewegte Jahre damals, als Henry Ford (1893) in Detroit eine kleine Werkstatt für Kraftwagen anfing, als die große Weltausstellung in Chicago ganz Amerika begeisterte. Sie entwickelten einige Sonderheiten, wie z. B. eine Maschine für Hosenträgerband, und allmählich ging es aufwärts. 1896 konnten sie den vier Jahre alten Betrieb nach Wyomissing verlegen. Hier, etwa fünf Kilometer westlich der Stadt Reading in der Grafschaft Berkshire (Pennsylvania) hatten sie fast unbegrenzt freies Feld für eine etwaige Vergrößerung. Die Wirtschaftslage, die Anfang der 1890er Jahre allgemein uneinheitlich war, besserte sich unter der Präsidentschaft von McKinley (1897) und weiter unter Theodore Roosevelt. Die „Textile“ machte Erfindungen, nahm Patente, ihre Maschinen wurden gekauft, 1899 erhielt die Firma für Ihre Modelle einen wertvollen Preis auf der Nationalen Exportausstellung in Philadelphia. Auch die Elektroindustrie rief nach umsponnenen Kabeln – Arbeit für das Wirkgeschäft.

Barmer Artikel Made in USA

Der Aufstieg der Firma ging nun stetig weiter. 1900 hielt sie es für richtig, ebenfalls „Barmer Artikel“ herzustellen und gründete dafür die Narrow Fabric Company, einen Betrieb, der sich in der Folge gut entwickelte. 1901 ging das Viktorianische Zeitalter zu Ende, die Damenmoden gingen neue Wege, der Strumpf trat seinen Siegeszug an. Textile Machine Works stellten Strumpfwirkmaschinen her, die den modernen Anforderungen genügten. Hatte die Firma um die Jahrhundertwende 70 Arbeiter beschäftigt, so waren es 1903 schon 150, und nun dehnten sich Fabrikationsanlagen, kaufmännische Betriebe, soziale Einrichtungen in weit schnellerem Zeitmaß aus. 1906 wurde eine Strumpffabrik errichtet, die Berkshire Knitting Mills, in der mit den Maschinen der Textile Machine Works Damenstrümpfe hergestellt wurden, zuerst in Baumwolle, dann mehr und mehr in Seide und Kunstfaser. Eine Gießerei fertigte die benötigten Maschinenteile selbst und arbeitete ferner für gewinnbringende Lohnaufträge.

Im Außenbezirk von Reading, einer Industriestadt mit einem erkennbaren deutsche Bevölkerungsanteil, entwickelten sich nun die „Wyomissing Industrien“. Hatten Textile Machine Works 1913 etwa hundert Maschinen jährlich gebaut, so waren es 1926 rund 1000. Nach außen wurden die Werke mehr und mehr durch ihre vorbildlichen modernen Werksanlagen sichtbar.

Teilhaber

Die Teilhaber Thun und Janssen verstanden es bereits früh, tüchtige Mitarbeiter heranzuziehen, nicht zuletzt Söhne und Schwiegertöchter; sie wollten nicht alles allein machen. So behielten sie den Kopf frei für schöpferische Indeen und Zeit für ein herzliches Familienleben. Rudolf Herzog, mit Ferdinand Thun aus früher Jugend als Nachbarskind befreundet, hat in seinem Roman „Das große Heimweh“, den er auf Grund einer Amerikareise 1912 schrieb, seinem Freund und seinem „echt deutschen“ Familienleben, wenn auch unter dichterisch veränderten Namen und Daten, ein Denkmal gesetzt.

Henry Janssen hatte einen Sohn, der während des ersten Weltkrieges im Lager, wo er als Soldat ausgebildet wurde, an den Folgen der damals grassierenden Grippeepidemie starb, und zwei Töchter.

Fürsorge

Es ist nicht leicht, bei allem, was die Partner an industriellen, sozialen und humanitären Einrichtungen ins Leben riefen, jeweils den schöpferischen Anteil des Einzelnen zu erkennen. Janssen war der vorwärtsdrängende, von technischen und wirtschaftlichen Ideen erfüllte Pionier, Thun der vorsichtig abwägende Kaufmann und sorgfältige Organisator. Aber steht gelang es ihnen, ihre in der Sache zuweilen abweichenden Ansichten freundschaftlich in Einklang zu bringen. Das Krankenhaus von Reading, dem ihre besondere Fürsorge galt, erhielt im Laufe der Jahre 4 Millionen Dollars auf den Mitteln der Firma, zu gleichen Teilen von beiden gestiftet. Museum und Kunstgalerie von Reading erfreuten sich ihrer teilnehmenden Förderung. Das Deutschtum in den Vereinigten Staaten zu pflegen, ohne politischen Nebenzweck, aber unter Betonung der kulturellen Beziehungen beider Nationen, war Ferdinand Thuns ständiges Bemühen.

Gegen die alte Heimat

Beide Söhne Barmens haben ihre Wuppertaler Heimat nicht vergessen. Der Erste Weltkrieg schon brachte sie in den seelischen Zwiespalt, mit der neuen Heimat gegen das Land ihrer Väter wirken zu müssen. Umso lieber haben sie in den Notzeiten der 20er und 30er Jahre soziale und wirtschaftliche Hilfe für ihre alte Heimat geleistet und ebenso nach 1945. Beraten und unterstützt von den Herren des Bankhauses Ahr, Krath & Co. in Wuppertal, haben sie durch vielfältige Kanäle ihre Nothilfe den Bedürftigen zugeleitet, in Geld, in Sachspenden, stets großzügig in ihren Entscheidungen und mit nachhaltiger Wirkung. So war es nur ein Akt schuldiger Dankbarkeit, dass Wuppertal sie äußerlich ehrte durch die Benennung der Ferdinand-Thun-Straße und der als Allee ausgeführten Heinrich-Janssen-Straße im Barmer Süden. Zum Gedächtnis an Henry Janssen, der am 28. Januar 1948 starb, schrieb ein Mitarbeiter: „Er war ein stattlicher Mann, der immer aufrecht ging, aber niemals in Eile, gesegnet mit fester Gesundheit durch sein ganzes Leben – fürwahr ein Mann unter Männern. – er redete nicht gern öffentlich, aber im vertraulichen Kreise sprach er kernig, interessant und witzig.

Diesen Beitrag schrieb Dr. Walter Dietz in den „Wuppertaler Biographien“, Folge 1, Born-Verlag;

Klaus Vollmer ergänzte ihn. Dr. Horst Heidermann (†) und Klaus Vollmer haben 2014 das Buch „Millionäre und Mäzene“, Edition Köndgen ISBN 978-3-939843-46-7, herausgegeben. Vollmer ist Vorstandsmitglied der Ferdinand Thun & Henry Janssen Gedächtnis-Stiftung, die z.B. den Heidter Bürgerverein und den Barmer Verschönerungsverein unterstützt.